Im freien Flug

Daniel Vogelwaid und Michael Donabaum haben gegen viele Widerstände ein Weingut gegründet, in einer der renommiertesten Regionen Österreichs. Über den Mut eines Paares, das seine Flaschen von Hand etikettiert und seine Erntehelfer:innen via Instagram findet.

Der Kunst ihre Freiheit

In der Hofeinfahrt, unweit einer brennenden Feuerschale, steht ein verbeulter Citroën. Ohne ihn gäbe es heute keinen Wein. „2020 mussten wir mitansehen, wie ein Hagelsturm beinahe unsere komplette Ernte zerstörte. Daniel und ich hielten uns in den Armen und dachten: Das war’s dann wohl. Kurz darauf stellte sich heraus, dass meine Eltern vergessen hatten, die Hagelversicherung fürs Auto zu kündigen. Mit dem Geld, das wir für den Schaden bekamen, konnten wir weitermachen.“ Vier Jahre später sitzt Michael Donabaum in der milden Abendsonne unter einem Marillenbaum, vor sich eine Weinflasche mit Vogelmotiv. Obwohl der hinter ihm liegende Tag an seinen Kräften zehrt, strahlt er Tatendrang aus. Elegant wirkt er in schmaler, beiger Hose – ein Mann mit feinen Gesichtszügen und kurz geschorenen, weißblond gefärbten Haaren. Dass er mal Innenarchitektur und Produktdesign studiert hat, überrascht nicht. Eines seiner vielen Tattoos ist der Satz „Der Kunst ihre Freiheit“. Dazu passt das, was auf dem vor ihm liegenden Korken steht: „Der Zeit ihren Wein. Dem Wein seine Freiheit.“ 

Daniel Vogelwaid und Michael Donabaum

Auf die Menschen hier kann man sich verlassen.

Daniel Vogelwaid und Michael Donabaum

Low-intervention-Betrieb

Michael stammt vom direkt gegenüberliegende Ufer der Donau. Nach seiner Ausbildung an der Weinbauschule Krems überließ er den elterlichen Weinbaubetrieb seiner Schwester, um sich am Südufer, im 160-Einwohnerort Arnsdorf, selbstständig zu machen. 2019 war das, gemeinsam mit seinem Lebens- und Geschäftspartner Daniel Vogelwaid. Letzterem ist der Name des Betriebs zu verdanken, in Anspielung auf seinen angeblichen Vorfahren Walther von der Vogelweide. In der ganzen Umgebung suchten die beiden nach Weingärten, wurden fündig, begannen mit der Bewirtschaftung und verkauften mitten in der Corona-Pandemie die ersten Flaschen per Onlineshop. Eine der ersten exportierten Paletten ging nach Lettland, der Heimat eines Freundes der beiden. Acht Weine umfasst ihr derzeitiges Sortiment, darunter sechs Cuvées. Zwei Jahre dürfen die Weine im Keller reifen. 

Diesen Luxus leisteten sich die beiden von Anfang an, obwohl sie dadurch auf größere Anschaffungen verzichten mussten und beispielsweise die ersten Flaschen mit Wachs versiegelten und von Hand beklebten. Gut, wenn sich eine solche Last auf zwei Schultern verteilt, oder? „Wir ergänzen uns gut“, bestätigt der Jungwinzer. „Im Weingarten sind wir beide gerne. Daniel ist der Kellermensch, ich mag besonders gerne alles, was danach kommt, den Vertrieb, die Gestaltung. Ein Vorteil ist auch, dass Daniels Blick als Zugezogener ein frischer ist. Er wusste ja gar nicht, wie wir Wachauer Wein machen. Andererseits ist es für uns als Paar auch ziemlich herausfordernd, nonstop zusammen zu sein.“ Hinzu kommen die Herausforderungen eines low-intervention-Betriebs, der weitgehende Verzicht auf Eingriffe bei der Vinifikation, die Handarbeit in den Steillagen. Dann der Personalmangel, der alle Winzer:innen betrifft. Aktuell wird das Paar von zwei jungen Einheimischen unterstützt. Erntehelfer:innen rekrutiert man gerne mal über Instagram. Kurz nach der Lese, so Michael, sei er vor Anstrengung trotzdem praktisch nicht ansprechbar.

Sofort in Vollzeit zu gehen sei nie der Plan gewesen, hat sich eher ergeben. Sein Tag im Weingarten ist bereits zu Ende, die Abendschicht übernimmt Daniel, der jetzt kurz an den Tisch tritt, ein kerniger Anfang-Dreißigjähriger mit Vollbart und schwäbischem Akzent. Ursprünglich stammt er aus Reutlingen, absolvierte ein Weinbaustudium in Geisenheim und Bordeaux und blieb nach einem Erasmusstudium an der Wiener Boku in Österreich hängen. Wie empfindet er als Zugezogener seine Wahlheimat? „Als bedächtig, traditionsbewusst, zögerlich gegenüber allem Fremden. Gut, dass der Michi von hier ist.“ Dann verabschiedet er sich in Richtung Weingarten. Michael ergänzt: „Da hat er recht. Das Vertrauen der Nachbar:innen bekommt man als Einheimischer eher. Im Gegenzug erfährt man ab einem bestimmten Punkt echte Hilfsbereitschaft und Loyalität. Auf die Menschen hier kann man sich verlassen.“

Ein Heuriger wäre schön

Ein Glücksgriff ist das Haus, in dessen mit knallroten Sesseln und einer tibetischen Gebetsflagge versehener Garten das Gespräch stattfindet. Ein dottergelber Bau, in der Garage lagern neben Paletten voller Kirschen auch Weinflaschen – eine echte garage winery also –, Wohnräume liegen in der oberen Etage und vorm Haus ist eine ehemalige Buschenschank mit atemberaubenden Donaublick. Hier fühlen sich sowohl die in Hörweite gackernden Hühner wohl als auch jene Kleinschafe der Rasse Skudden und Quessants, die Daniel auf Willhaben erwarb. Anstrengend, aber auch ein schöner Ausgleich. „Außerdem ersetzen sie den Rasenmäher.“ Was wiederum dem Obstbau zugutekommt, den die beiden auch noch betreiben. Wie viele Stunden hat noch mal ein Tag?

Im sechsten Jahr seines Bestehens wirft Von der Vogelwaide noch keinen Gewinn ab. Zaghafte Erfolge haben sich trotzdem schon eingestellt. 2019 waren es 3000 Flaschen, 2023 schon über 20.000. Von den Exporten, die 70 Prozent ausmachen, geht die Mehrheit in die USA, nach Schweden, Tschechien und Deutschland. Nach seinen Zukunftsplänen befragt, blinzelt der Mittzwanziger gen untergehende Sonne. Weiterhin Marillen- und Kirschanbau betreiben, sich vergrößern, schwarze Zahlen schreiben. Ein Heuriger wäre schön. Träume haben die beiden, Elan und genug Antriebskraft, sie zu verwirklichen, auch. Vielleicht doch auf die andere Donauseite wechseln, wo sich die Mehrheit seiner dreieinhalb Hektar – weitere eineinhalb werden zugekauft – Weingärten befinden? Oder lieber hier bleiben, in einem kleinen Dorf, in dem sich jede:r kennt und kaum vorbeigehen lässt, ohne ein Achtel oder ein Stück Kuchen zu teilen? Zweifellos haben die beiden die Energie weiterzumachen, gegen den Strom, quer den Erwartungen ihrer Umgebung. Der vom Hagel zerbeulte Citroën ist schließlich auch noch immer in Betrieb.